23. Sep 2024

Das leichte Spiel mit der Angst

23. Sep 2024

Wie kann fast 80 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges eine gesichert rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Bundesland werden?

PreventON

Seit dem 1.September 2024 wissen wir: nicht nur in vielen europäischen Ländern sind rechtpopulistische Parteien erstarkt – in Deutschland wurde eine gesichert rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Bundesland. Wie kann so etwas fast 80 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges passieren? Ein Psychiater erklärt, was das mit den Krisen der letzten Jahre zu tun hat.

Kriege und Krisen gibt es schon seit Jahrtausenden – was ist das Neue an der aktuellen weltpolitischen Lage und deren Auswirkung auf die Psyche der Menschen? Grundsätzlich wissen wir, dass Kriege und deren Auswirkungen bedrohliche Ereignisse für Menschen sind. Die Verkettung mit globalen Krisen und dass diese über digitale Medien in Echtzeit in unseren Alltag transportiert werden, setzt die Menschen unter enormen Stress. Die scheinbare Masse schlechter Nachrichten lässt schnell die Vermutung aufkommen, dass wir in unheilvollen Zeiten leben. Ein emotionales Resultat dabei kann Studien zufolge Angst sein. Angst um die Zukunft, die eigene Existenz, darum, die Heizungsrechnung nicht mehr bezahlen können – oder um Wohlstand und Status.

Aus der Emotionsforschung wissen wir, dass sich gerade Angst rasch und unverhältnismäßig ausbreiten kann, auch wenn keine reale Bedrohung für Leib und Leben existiert. Der Nährboden für sich rasch ausbreitende Ängste wird dadurch bereitet, dass die Menschen durch die Verkettung von Krisen grundsätzlich belasteter und die emotionalen Ressourcen bei vielen aufgebraucht sind.
Im Zuge dieser Belastung, die fast alle betrifft, neigt auch die Gesellschaft als solche dazu, ängstlicher zu werden. Dann passiert das, was man auch im einzelnen Individuum beobachten kann und als „Zentralisierung“ aus der Schockreaktion bekannt ist: Die Gesellschaft lenkt die Aufmerksamkeit vermehrt auf das Innere, schottet sich nach außen ab. Man versucht, das Eigene um jeden Preis nach außen oder gegen das vermeintlich „Fremde“ zu schützen, entwickelt einen Scheuklappenblick.

Unser rationales, vernunftbezogenes Denken leidet unter der Angst, Besonnenheit geht verloren. Man reagiert dann eher auf Stimmungen, weniger auf Fakten. Eine angstgeplagte Gesellschaft verspricht sich Erleichterung in einem polarisierten Weltbild und wird anfällig für Heilsversprechen populistischer Akteure.

Populistische Parteien nutzen empathischen Missbrauch

Und hier setzen populistische Parteien an: sie üben eine Art strategische Empathie aus, indem sie Anteilnahme an den Sorgen und Nöten der Leute vortäuschen und den Finger in die emotionalen Wunden der Menschen legen. Sie schauen sich die Angstthemen der Leute genau an, nehmen sie in ihre polarisierende Kernbotschaften auf und senden gleichzeitig ein Signal des Verständnisses für Sorgen und Nöte. Da sich die Menschen in einem enorm gestressten und emotional aktivierten Zustand befinden, fühlen sie sich verstanden in diesem und geraten in Gefahr, in diese „empathische Falle“ zu laufen. Es wäre zu kurz gegriffen, zu sagen, dass diese Form von Stress den Zulauf zu populistischen Parteien allein erklärt. Aber: Er macht anfälliger für ihre Heilsversprechen und den empathischen Missbrauch.
Was hilft, um nicht in die Falle zu tappen? Wichtig ist, ein Gespür für sich selbst zu entwickeln, wenn man „emotional aktiviert“ ist, man sich unsicher und belastet fühlt oder vielleicht Zukunftsängste hat. Denn wenn man sich seine Ängste eingesteht, kann es davor schützen, dass diese missbraucht werden. Und das nächste ist: Darüber zu reden und sich auszutauschen. Und am besten zu versuchen, die eigene Sicht aus einer anderen, neutralen Perspektive zu betrachten.

Das alles ist nicht immer leicht. Wer Angst hat, hat oft schon einen gefährlichen Tunnelblick und ist von außen gar nicht mehr so leicht erreichbar. Aber auch dann gibt es einen Ausweg aus der Empathiefalle.

Parteien müssen auf die emotionalen Bedürfnisse der Menschen eingehen

Welche Chance haben nun die demokratischen Parteien der Mitte? Sie sind es gewohnt, mit rationalen Argumenten zu argumentieren, aber das allein wird einer emotional aktivierten Bevölkerung nicht mehr in allen Belangen gerecht, wie wir gerade sehen können. „Besser erklären, was wir politisch machen“ ist nur ein Teil der Antwort und aktuell auch nicht der entscheidende. Besser: auf diese emotionalen Bedürfnisse einzugehen und dieses Feld nicht den Populisten zu überlassen. Zum Beispiel, indem man noch leichter und klarer ausspricht, dass die Verhältnisse momentan schwierig sind. Dass man die Angst der Menschen zur Kenntnis nimmt, akzeptiert und den Leuten das Gefühl gibt: Wir sehen Euch! Und wir fühlen auch mit Euch. Und wir müssen verstehen, was ihr braucht. Das müsste in viel stärkerem Maße passieren.

Emotionen machen uns zu Menschen, aber sie sind auch unsere Achillesferse. Über unsere Emotionen, über Angst oder Unsicherheit sind wir manipulierbar. Eine Bevölkerung in Angst ist gefundenes Fressen für populistische Akteure. Die Geschichte hat zeigt, dass die Verknüpfung von Ideologie, Emotion und Manipulierbarkeit in der Lage ist, Werte und moralische Grundordnung einer Gesellschaft praktisch zu pulverisieren.

(Artikel adaptiert von https://www.psychologie-heute.de/gesellschaft/artikel-detailansicht/43512-spiel-mit-der-angst.html)

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