Laut epidemiologischer Daten könnte ein Großteil der nichtübertragbaren Krankheiten durch rechtzeitige Prävention verhindert werden.
Gesundheitssystem in Deutschland: die Präventivmedizin wird zukünftig den Unterschied machen
Die Neujahrsvorsätze sind gerade noch in verblassender Erinnerung. Wollten wir nicht weniger essen, trinken oder rauchen? Mehr Sport machen und weniger sitzen? Und auch das Smartphone öfter mal weglegen? Doch über die Saat der guten Absichten wächst leider allzu leicht das Gras der Gewohnheit. Und so verbringen wir weiterhin zu viel Zeit in runder Sitzposition, fallen dank Plunderteilchen nicht vom Fleisch und halten uns mit koffeinhaltigen Getränken leistungsfähig. Erst schreien, wenn es wehtut, sagt der Volksmund, also gehen wir erst zum Arzt, wenn wir uns schon lange nicht mehr wohlfühlen. Dabei leidet ein wachsender Teil der Bevölkerung längst an Erkrankungen, die durch frühzeitige Vorsorge oft zu vermeiden wären. Nämlich beispielsweise Erkrankungen des Herzkreislaufsystems – durch mangelnde Bewegung und falsche Ernährung – und Krebserkrankungen – etwa durch den Konsum von Zigaretten oder Alkohol.
Zudem steht das deutsche Gesundheitswesen in den 2020er-Jahren vor großen Herausforderungen, und das nicht nur durch Corona. Denn durch den demografischen Wandel wird sich die Zahl der Ärztinnen und Ärzte reduzieren, die Zahl der Patientinnen und Patienten wird sich jedoch deutlich erhöhen. Dazu werden nicht nur geriatrische Patienten zählen, sondern auch jüngere Menschen mit lebensstilbedingten Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2, deren Zahl derzeit weiter zunimmt.
Weltweit bilden diese nichtübertragbaren Krankheiten (non-communicable diseases; NCD) eine große Krankheitslast. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge sterben jährlich 41 Millionen Menschen aufgrund von NCD – das sind etwa 74 Prozent aller Todesfälle. In Deutschland sind es laut Robert Koch-Institut sogar mehr als 90 Prozent. In der Theorie vereint die Prävention das Potenzial in sich, diese enorme Krankheitslast zu reduzieren, dadurch das Personal im Gesundheitswesen zu entlasten und die Ausgaben zu verringern. Laut Wissenschaftlern der technischen Universität München könnten durch Prävention 50% der Krebserkrankungen und sogar bis zu 70% der Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindert werden.
Dass die Prävention ein enormes Potenzial besitzt, ist seit Langem bekannt. Dennoch passiert nicht genug, um es zu heben. Das zeigt sich auch in den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). So hat die GKV im Jahr 2021 rund 8,9 Milliarden Euro für Gesundheitsprävention ausgegeben. Was nach viel klingt, beläuft sich auf nur etwa 3,4 Prozent der gesamten GKV-Ausgaben von 263,4 Milliarden Euro.
Was sind die effektivsten präventiven Maßnahmen in der Arbeitsmedizin?
„Am effektivsten ist eine Kombination aus Verhältnis- und Verhaltensprävention“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin (DGAUM), Prof. Dr. med. Thomas Kraus. „Das bedeutet einerseits, gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen zu schaffen, zum Beispiel technische Maßnahmen zur Lärmvermeidung oder eine ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes.“ Andererseits bedeute es, Beschäftigte zu beraten zu Risikofaktoren, zum Erhalt der Gesundheit und zur Beschäftigungsfähigkeit: zum Beispiel durch die Verwendung einer persönlichen Schutzausrüstung und durch Früherkennung psychischer Beanspruchung.
Manches ist innerhalb des Gesundheitswesens auf eine gute Gesundheitsförderung ausgelegt – manches aber noch nicht. Den Arztpraxen bliebe durch die hohe Frequenz an Arztbesuchen zu wenig Zeit für Prävention, so Schneider-Rathert von der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin. Aus hausärztlicher Sicht müssten daher zum einen der bürokratische Aufwand sinken und gleichzeitig die Vergütung von Präventionsleistungen (festgehalten im einheitlichen Bewertungsmaßstab, EBM) neu bewertet werden.
Auch die Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wünschen sich, dass Ärztinnen und Ärzte im Alltag mehr Zeit für die Prävention haben. „Wir fordern von der Politik, das ärztliche Präventionsgespräch weiter zu stärken und zu einem integralen Teil der Patientenversorgung werden zu lassen“, sagt Henke von der BÄK. So könnten diese ihren Patienten Anstöße zur Verhaltensänderung liefern und Präventionsleistungen per Formular empfehlen. Mit dieser Empfehlung könnten die Patienten die entsprechende Leistung dann wiederum bei ihrer Krankenkasse beantragen.
Hoffnung liegt darüber hinaus auf präventiven Maßnahmen, die durch Forschungsarbeit erst noch möglich gemacht werden. Ein Beispiel sind Genomanalysen, welche genetische Ursachen für Tumore und andere seltene Erkrankungen aufdecken sollen. Diese Technologie könnte es erlauben, Risikopersonen deutlich besser zu identifizieren und gezielte Präventionsmaßnahmen anzubieten.
Was tut die Politik, um Prävention zu stärken?
Im Jahr 2015 hat die damalige Bundesregierung mit dem Präventionsgesetz die Nationale Präventionskonferenz ins Leben gerufen, in der die Sozialversicherungsträger gemeinsam eine nationale Präventionsstrategie aufgesetzt haben. Diese beinhaltet bundeseinheitliche Rahmenempfehlungen zur Prävention in Lebenswelten und Betrieben. Zudem wurden mit dem Gesetz die jährlich verfügbaren Präventionsmittel der Krankenkassen festgelegt. Auch unsere aktuelle Bundesregierung bekennt sich in ihrem Koalitionsvertrag zur Stärkung der Primär- und Sekundärprävention und will das Präventionsgesetz weiterentwickeln. Unter anderem soll es einen Nationalen Präventionsplan mit Maßnahmenpaketen zu einzelnen Themen, darunter Alterszahngesundheit, Diabetes mellitus Typ 2 oder Einsamkeit, geben.
Ob die Politik es schafft, die Potenziale der Prävention zu heben, um den in den 2020er-Jahren anstehenden Problemen zu begegnen, bleibt abzuwarten. Rudolf Henke von der Bundesärztekammer erinnert daran, dass es noch nicht lange zurückliegt, als Deutschland eine große Handlungskraft bewiesen hat: „In der Coronapandemie haben wir gesehen, wie umfassend unsere Gesellschaft präventive Herausforderungen annehmen und ihnen begegnen kann.“
Unser Fazit
Die Präventivmedizin führt in Deutschland unverändert ein Schattendasein. Der Ruf nach Geld und der Politik greift zu kurz. Es hängt noch an anderen Sachen: zum Beispiel, dass Ärzte keine Ahnung von Gesundheit haben. Was vielleicht skurril klingt, ist schlichte Ausbildungsrealität im Studium und Klinik: denn hier spielen Gesundheit und Prävention quasi keine Rolle, frühzeitig wird auf Krankheit fokussiert und die Spezialisierung steht im Vordergrund. Das impliziert auch fehlende, strukturierte Präventionsforschung. Dass Friede Springer 2022 mit 70 Mio. Euro die Gründung eines Forschungs- und Präventionszentrums für Herz-Kreislauf-Erkrankungen an der Charité mitfinanziert hat, kann da nur ein Anfang sein. Denn es ist absehbar, dass für die Menge an zukünftigen Patienten mit lebensstilbedingten, vermeidbaren Krankheiten deutlich zu wenig Ärzte und damit Behandler zur Verfügung stehen werden.
Wir bei prevent.on sind weiterhin engagierter Partner von Unternehmen und Menschen, die an Prävention allgemein und im Rahmen unserer Checkups im Speziellen interessiert sind. Wir werden weiterhin unserer Daten, die wir seit 2013 strukturiert erheben, anonymisiert gemeinsam mit der Goethe Uni in Frankfurt am Main teilen, gemeinsam Forschung betreiben und Ergebnisse publizieren.
Quelle:
Ärzteblatt: Prävention: Vorbeugen statt heilen